Red Dot Award: Design Concept

Ben Strutt von Cambridge Design Partnership im Interview

Karriere, Designforschung und Arbeitskultur – Ben Strutt von Cambridge Design Partnership im Interview

Ben Strutt ist verantwortlicher Direktor für Design und Innovation bei Cambridge Design Partnership. 2018 überzeugten sie im Red Dot Award: Design Concept mit dem medizinischen System Klarus. Für ihn ist Design sowohl eine Form des kreativen Denkens und systematischen Handelns als auch eine akademische Disziplin. Bereits in seiner Jugend kam er mit Design in Berührung: der eine Großvater konstruierte und baute in seiner Heimwerkstatt Maschinen für anspruchsvolle Produktionsabläufe, der andere restaurierte in seiner Freizeit antike Uhren. Strutt selbst arbeitet heute mit einem hauseigenen interdisziplinären Team von mehr als 120 Designern, Forschern, Ingenieuren und Wissenschaftlern sowie deren Industriepartnern zusammen, um Herausforderungen in effektive, durchgehende Arbeitsabläufe umzuwandeln, mit denen ihre jeweiligen Innovationsziele erreicht werden.

Im Interview mit Red Dot spricht Ben Strutt über Design, Arbeitskultur und die größten Momente seiner Karriere.

Red Dot: Was steht bei Ihnen an erster Stelle: das Geschäft oder der Kunde?

Ben Strutt: Als Designer stehen die Menschen indirekt in deinen Gedanken an erster Stelle, wenn du dich neuen Herausforderungen stellst. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, die benutzerorientierte Sichtweise mit den kommerziellen Anforderungen und den Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz neuer Technologien ergeben, in Einklang zu bringen – immer aber steht der Mensch im Vordergrund! Du kannst die beste Technologie in diesem Bereich entwickeln, was viele getan haben, aber wenn sie eine schlechte Benutzererfahrung bietet, wird ihr Marktpotenzial nie verwirklicht werden. Ungeachtet dessen, was einige Markeninhaber gerne denken, sind die Kunden ihren Produkten und Dienstleistungen nicht bedenkenlos treu. Wenn es eine bessere Alternative gibt, werden sie sie nutzen.  „Erfahrung“ ist die Grundlage eines Design-Auftrags, ob explizit genannt oder nicht, und per Definition ist sie menschlich.

Haben Sie persönlich von den Vorbereitungen auf ein großes Projekt profitiert?

Jedes Projekt, an dem ich arbeite, ist „groß“, denn ich arbeite immer leidenschaftlich, unabhängig davon, wie groß die Herausforderung oder der Industriepartner ist, sei es ein Start-up oder ein multinationales Unternehmen. Ich habe das Privileg, wichtige Geschäftsentscheidungen und damit die Lebensgrundlagen von Menschen beeinflussen zu können. Bei Endverbrauchern kann ich auf die Lebensqualität einwirken. Diese Verantwortung nehme ich nicht auf die leichte Schulter.

Gab es Erfolge oder Durchbrüche bei der Vorbereitung auf einen Wettbewerb?

Zu lernen, warum ich nicht gewonnen habe und was die Konkurrenz tut. Jeder, der an Innovationen arbeitet weiß, dass das Experimentieren und die Entwicklung eines Prototyps zentrale Handlungsaspekte sind. Wenn du qualifizierte Experimente ausarbeitest, die funktionieren können, wirst du etwas Hilfreiches lernen, selbst wenn sie an gewissen Punkten scheitern. Die gleiche Einstellung gilt für eine Präsentation, eine Projektphase, einen Wettbewerbsbeitrag. Wenn du nicht innehältst, um zu verstehen, wie du eine Arbeit hättest besser machen können, ist es eine verpasste Gelegenheit, deine Methode zu verfeinern oder zu ändern und die Chancen auf zukünftigen Erfolg zu verbessern. Konstruktives, qualitativ hochwertiges Feedback ist wie Goldstaub, und ich glaube, wenn wir uns im Leben weiterentwickeln wollen, sollten wir uns regelmäßig die Zeit nehmen, über Feedback nachzudenken, es zu geben und zu empfangen.

Was war der größte Moment in Ihrer Design-Karriere?

Karrieren sind voller „Momente“ – einige sind sehr besonders, andere schleichen sich an dich heran. Es wäre einfach, auf die Markteinführung meines ersten hochkarätigen Produktes hinzuweisen, den ersten Dyson Ball-vac (DC15), bei dem ich, obwohl noch sehr jung, zu den führenden Entwicklern gehörte. Aber auch nach 20 Jahren und mehr als 20 Patenten in meiner Karriere habe ich nie das Kribbeln der Aufregung (und der Angst!) verloren, wenn ich eine Box mit einem ersten Werkzeug-Formteil öffne, bzw. ein Produkt zum ersten Mal im Geschäft sehe. Ich spüre immer noch die Begeisterung, wenn unser Team eine wirklich herausragende Design-Lösung für eine Warenkategorie entwickelt wie unsere preisgekrönten ‚Control‘ Messer für Zyliss.

Die Designschule hört nie auf, am wenigsten für große Designer. Wie lernen und erweitern Sie Ihr Wissen und Ihre Expertise?

Ich persönlich bin motiviert, weiter praxisnah zu arbeiten – das ist der primäre Weg sicherzustellen, dass ich nie aufhöre, von allem und jedem um mich herum zu lernen. Ich reise immer noch häufig, um internationale Forschungsarbeiten durchzuführen und besuche natürlich weltweit führende Veranstaltungen. Jedes Mal, wenn ich eine neue assoziative Verbindung zwischen menschlicher Erkenntnis und scheinbar unabhängigen Sektoren, Geschäftsmodellen und Technologien herstelle, erfahre ich ein großartiges Gefühl der Belohnung – die Neurowissenschaft der Kreativität ist faszinierend!

Wie würden Sie Ihre Designforschung beschreiben?

Ganz anders als die Marktforschung, womit ich die Analyse des heutigen lösungsorientierten Marktes meine, oder die „Insight for Innovation"-Forschung, deren Eckpfeiler das Lösungen hinterfragende, soziale und emotionale Bedürfnis ist. Ein guter Primärforscher wird losgehen und die relevante Welt systematisch und objektiv erforschen, kann aber mit der Umsetzung, dem „Was soll‘s?“ kämpfen, besonders wenn bahnbrechende Innovationen Teil des Aufgabenbereichs sind. Ein qualitativ hochwertiger Marktforschungsbericht nach Industriestandard wird nicht notwendigerweise Chancen für eine erfolgreiche Konzepterstellung oder Neuproduktentwicklung aufzeigen. Der Umsetzungsprozess ist entscheidend – und hier kommen die Designer ins Spiel. Wenn ein Designer sieht, dass jemand mit einem Problem ringt, beginnt er instinktiv, nach Lösungen zu suchen. Die praktische Art eines Designers, gestaltende Forschung zu beobachten, gemeinsam mit Menschen und deren Herausforderungen zu arbeiten und Lösungsansätze zu entwickeln, ist die Brücke zwischen dem strategischen „where to play“ und dem konzeptionellen „how to win“. Standardmäßig kann diese angewandte Umsetzungsmentalität es Designern schwer machen, erfolgreiche objektive Forscher zu sein – eine Falle, der ich mir bewusst bin, und eine Fähigkeit, an der ich fortwährend arbeite!

Woran erkennen Sie, dass ein Produkt gut gestaltet ist?

Es ist praktisch unmöglich, eine prägnante universelle Definition von gutem Design zu formulieren, obwohl ich die Prinzipien von Dieter Rams bewundere. Gutes Design muss Herz und Verstand befriedigen, auch wenn wir uns alle mit emotional aufgeladenen oder sozial motivierten Einkäufen identifizieren können, bei denen unsere Gefühle die praktische Logik verdrehen und außer Kraft setzen und uns davon überzeugen, die Konsequenzen zu tragen! Einige so genannte „Design-Klassiker“ würden den Rams-Test nicht bestehen! Meiner Meinung nach widersetzen sich die besten Design-Lösungen Kompromissen bei der emotionalen oder funktionalen Belohnung – ein hart erkämpfter Algorithmus, der sowohl Schönheit als auch operative Einfachheit verkörpert. Jeder kann gutes Design schätzen. Aber ich würde noch weiter gehen: diejenigen, die gutes Design am besten beurteilen können, sind weder Designer, Ingenieure oder Marketingfachleute, sondern ganz normale Menschen, die in ihrem Leben vorankommen, Menschen, die natürlicherweise nach den intuitivsten Produkten und Dienstleistungen um sie herum greifen, um einen einfacheren oder erfüllten Tag zu haben. Die meisten Verbraucher verstehen nicht, wie viel Forschung, Psychologie, Tests und zwanghafte Wiederholung in die Entwicklung eines Produkts einfließen, damit es völlig intuitiv ist und multisensorischen Wert hat – immer und immer wieder. Während die Lösung einfach erscheinen mag, wird der Entwicklungsprozess alles andere als einfach gewesen sein!

Wann oder wie wissen Sie, dass Ihr Produkt ein Erfolg ist?

Innovation wird oft als erfolgreiche Vermarktung von Kreativität beschrieben – und jeder Mensch im Entwicklungsprozess muss seine Arbeit gut gemacht haben, um das zu erreichen. Für mich ist Innovation, wenn die Leute merken, dass du eine Lösung für eine Herausforderung gefunden hast, wegen der sie seit Jahren frustriert sind; oder vielleicht nicht einmal wussten, dass sie es waren, und die Lösung so schlüssig ist, dass sie sagen: „Das ist brillant – warum habe ich nicht daran gedacht?“ Erfolg ist, wenn dein Produkt oder deine Dienstleistung zu einer Quelle des emotionalen Stolzes für seinen Besitzer wird oder wenn es seine Position auf dem Markt jahrelang behält, obwohl es hätte abgelöst werden sollen. Oder wenn man das Produkt aufgrund seiner Langlebigkeit bzw. Weiterentwicklung von einer Person oder Generation an die nächste weitergeben kann. Vielleicht besteht der ultimative Erfolg darin, dass dein Produkt oder deine Dienstleistung zu einem Maßstab wird und in die natürliche Sprache eingeht. Wir benutzen keine Online-Suchmaschine mehr, wir „googeln“. Eine „Rolex“ ist zu einer dauerhaften Metapher für Erfolg geworden und mit der Zeit zu einem Erbstück, dessen emotionaler Wert mit den Jahren steigt. Wir brainstormen mit „Post-Its“ und halten nur dann inne, wenn eine Wand voller kreativer Notizen der Schwerkraft zu erliegen beginnt!

Wie entscheiden Sie, wem in einem Projekt welche Aufgabe zuteilwird?

Unser Kernbereich ist die Durchführung von Innovationsprojekten, daher steht eine erstklassige Projektleitung im Mittelpunkt. Vom ersten Gespräch an versuchen wir, den gesamten Prozess so allumfassend wie möglich zu gestalten. Wir stellen sicher, dass potenzielle Projektleiter und Technik-Experten der relevanten Disziplinen beteiligt sind, übertragen ihnen Verantwortung und ermöglichen es ihnen, die beruflichen Beziehungen aufzubauen, die der Schlüssel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind. Die Bandbreite der Projekte, an denen wir arbeiten, bietet den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich auf Herausforderungen einzustellen, die sie motivieren. Ich schätze mich glücklich, auf so einen außerordentlichen Umfang an Erfahrung unter einem Dach zurückgreifen zu können. In einem solchen Umfeld ist es für Kollegen auf allen Ebenen einfacher, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Direktoren sind, wie man es erwarten würde, jeweils für die Leitung und Entwicklung verschiedener Teile des Kerngeschäfts und des strategischen Geschäfts verantwortlich, aber jedes Mitglied des Managementteams sitzt im Großraumbüro und bleibt sehr praxisnah, was meiner Meinung nach die Kultur und den Sinn der Zusammenarbeit stärkt.

Wann entscheiden Sie sich, ein Produkt einzustellen oder eine bestimmte Funktion zu entfernen?

Ich verfolge das umgekehrte Prinzip:  ein Feature sollte seinen Weg in die Spezifikation nicht finden, wenn es nicht klar ein funktionales oder emotionales Bedürfnis anspricht. Wenn Innovatoren mit Bedürfnissen beginnen und das Problem wirklich verstehen, sollte die entwickelte Spezifikation nicht zu weit vom Kurs abweichen. Natürlich gibt es Wiederholung und Verfeinerung, und dieser Prozess sollte die Mitgestaltung und Validierung mit relevanten Stakeholdern beinhalten; aber letztendlich tickt die Uhr, und der Zähler läuft. Wenn man einem bewährten Produktentwicklungsprozess folgt, ist sichergestellt, dass die entsprechenden Informationen verfügbar sind, um in jeder Phase des Prozesses sicher Entscheidungen treffen zu können. Ein Produkt sollte eingestellt oder verändert werden, wenn die Kosten-Nutzen-Analyse negativ ist, was bedeutet, dass die Bedürfnisse, die Basistechnologie und das Modell der Wertrealisierung, nicht ausgeglichen werden können. Diese Entscheidung kann getroffen werden, sobald genügend Hinweise auf unüberwindbare Mängel vorliegen oder unzureichende Hinweise, um den Kreis zu schließen). Dies ist nicht zu verwechseln mit routinemäßigen Herausforderungen bei der Produktentwicklung, die den perfekten Anreiz bieten, vermehrt oder anders nachzudenken, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.

Ist Konsens immer eine gute Sache?

Im Allgemeinen sehe ich den Konsens als Ziel, unabhängig von den konstruktiven Meinungsverschiedenheiten, die auf dem Weg zur besten Lösung auftreten können – die Konvergenz nach der Divergenz! Wenn du Menschen, die an evidenzbasierte Entscheidungsfindung glauben, in ein Umfeld bringst, in dem sie über die nötige Eigenverantwortung, Kultur und Ressourcen verfügen, um die kreative Grenze zu überschreiten, ist das Ergebnis selten weit entfernt. Ich würde mir Sorgen machen, wenn uns die Dinge zu leichtfallen würden, wir also vielleicht nicht genug an unsere Grenzen gehen. Ich würde zu unserem Grundgedanken zurückkehren, dass wir gemeinsam mehr erreichen können als allein.

Wie sagen Sie den Leuten ‚Nein‘?

Es wird leicht vergessen, dass ein „Nein“ oft positiv sein kann: „Nein, die Beweise zeigen, dass das Produkt im Anfangsstadium eingestellt werden sollte – Ihre wertvollen Innovationsressourcen wären besser in das andere Konzept investiert". Unsere Kultur basiert auf Kreativität und Klarheit; wir versuchen, fundierte Beweise auszutauschen und subjektive Einflüsse zu vermeiden.