Chí-An Benjamin De Leo
Chí-An Benjamin De Leo wurde durch seinen italienischen Vater und seine französisch-vietnamesische Mutter multikulturell geprägt und entwickelte vor diesem Hintergrund eine globale Denkweise sowie ein Gespür für interkulturelle Verbindungen. Er spricht vier Sprachen fließend und hat bereits in fünf Ländern gelebt, was sein globales Denken zusätzlich bereicherte. Nach seinem Studium an der University of Plymouth begann er seine Karriere in der Werbebranche bei MullenLowe Global Vietnam, wo er maßgeblich am Aufbau der Branding-Abteilung beteiligt war. Seine Leidenschaft dafür, starke Markenerlebnisse zu schaffen, führte 2011 zur Gründung von Rice. Es folgten zahlreiche internationale Auszeichnungen wie bei den D&AD, dem Red Dot, TDC, den Pentawards und den Dieline Awards.
Chí-An Benjamin De Leo wirkt häufig bei internationalen Designjurys mit und ist Mitglied der Alliance Graphique Internationale (AGI).
Derzeit verwirklicht er ehrgeizige Pläne für Rice – neben der weiteren Entwicklung sinnvoller Produkte sind die Expansion in den Bildungsbereich sowie die Ausrichtung von Konferenzen geplant.
Red Dot im Interview mit Chí-An Benjamin De Leo
Sie waren zum ersten Mal Mitglied der Jury des Red Dot Award: Product Design. Wie bewerten Sie die Gesamtqualität der eingereichten Beiträge?
Die Qualität war wirklich beeindruckend. Besonders fasziniert hat mich allerdings die Vielfalt der Ansätze und kulturellen Perspektiven. Da ich selbst aus einem multikulturellen Umfeld komme, war ich schon immer davon überzeugt, dass das beste Design entsteht, wenn unterschiedliche Sichtweisen aufeinandertreffen. Besonders ermutigend fand ich, wie viele Designer über die reine Funktionalität hinausgehen und Produkte schaffen, die Geschichten erzählen und emotionale Verbindungen herstellen.
Gibt es klare Trends, die sich über alle Kategorien hinweg erkennen lassen?
Ein auffälliger Trend war für mich die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten bereits zu Beginn des Designprozesses und nicht erst im Nachhinein.
Sie selbst haben zahlreiche Designpreise gewonnen. Geben diese einem Studio immer neuen Auftrieb?
Auszeichnungen sind eine wertvolle Bestätigung, aber ich habe gelernt, dass sie am meisten bedeuten, wenn sie mit den eigenen Zielen übereinstimmen, da sie natürlich Türen öffnen. Der eigentliche Schub kommt jedoch nicht durch die Auszeichnung selbst, sondern durch die Disziplin, Arbeiten zu schaffen, die Anerkennung verdienen.
Mit Ihrem Studio bewegen Sie sich immer an der Schnittstelle zwischen Kommunikation und Produktdesign. Wo fühlen Sie sich mehr zu Hause?
Die Verbindung fühlt sich für mich ganz natürlich an, vielleicht weil ich gelernt habe, mich in unterschiedlichen Kontexten zu bewegen. Kommunikation und Produktdesign sind letztlich nur verschiedene Ausdrucksformen derselben grundlegenden Herausforderung: Wie schafft man sinnvolle Verbindungen?
Was sind die größten Herausforderungen, denen sich das Industriedesign in Zukunft stellen muss?
Die größte Herausforderung besteht darin, den rasanten technologischen Fortschritt mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen in Einklang zu bringen. Wir müssen Produkte gestalten, die die Menschen jahrzehntelang behalten, reparieren und wertschätzen wollen, statt sie alle paar Jahre zu ersetzen. Mit der zunehmenden Globalisierung der Märkte wird kulturelle Sensibilität immer wichtiger. Und schließlich steigt durch die Demokratisierung der Designtools der Anspruch an professionelle Designqualität. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was nur menschliche Designer leisten können und keine KI: kulturelles Verständnis, emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, Verbindungen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Bereichen zu erkennen.
Inwiefern haben sich Ihrer Meinung nach die Anforderungen an das Produktdesign verändert? Erwarten die Menschen heute viel mehr als nur Funktionalität?
Die Menschen erwarten heute, dass Produkte gleichzeitig funktional, ästhetisch, nachhaltig, kulturell sensibel und sinnvoll sind. Sie möchten die Geschichte hinter den Produkten verstehen – wer sie hergestellt hat, wie sie produziert wurden, welche Werte sie repräsentieren. Gefragt sind also nicht bloß Objekte, sondern Produkte, die Werte widerspiegeln und das Leben sinnvoll bereichern. Das erhöht den Druck erheblich – jede Designentscheidung wird zu einem Statement über Werte und soziale Verantwortung.
In welcher Branche finden derzeit die größten Veränderungen statt?
Ich würde sagen: Mobilität und Transport – aber nicht nur aufgrund der E-Mobilität. Das gesamte Konzept menschlicher Fortbewegung wird gerade neu gedacht.
Gibt es ein Objekt, das Sie gerne entwerfen würden?
Ich arbeite gerade an etwas, das mir sehr am Herzen liegt: an der Wiederbelebung und Neuinterpretation der Möbelentwürfe meines Vaters.
Welche Design-Ära verdient Ihrer Meinung nach eine Renaissance?
Die 1960er und 1970er Jahre, aber nicht aufgrund der Ästhetik, sondern wegen der Haltung. Damals war das Designverständnis so wunderbar idealistisch: Es ging nicht nur darum, schöne Objekte zu schaffen, sondern eine bessere Welt zu gestalten. Man stellte sich grundlegende Fragen nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Design.
Gibt es einen Gegenstand, auf den Sie allein wegen seines Designs niemals verzichten könnten?
Meine Vinylsammlung. Nicht aus Nostalgie, sondern wegen der Intentionalität, die dieses Format verlangt. Vinyl zwingt einen dazu, bewusst zu handeln – man wählt ein Album aus und hört es sich komplett an. Das Design schafft eine ganz andere Beziehung zur Musik als Streaming: langsamer, achtsamer, verbundener. Das ist gutes Design: Es entschleunigt uns, macht uns bewusster und schafft eine tiefere Verbindung zu den Dingen, die wichtig sind.