Thomas Knüwer
Thomas ist Chief Creative Officer für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Accenture Song, wo er mit Kunden wie VELUX, Netflix, Google, ALDI und Zalando zusammenarbeitet. Auf der Suche nach Ideen, die Kategoriegrenzen sprengen, hat er so schräge Dinge wie ein schmelzendes Brettspiel, eine Schallplatte aus der Hölle und eine Suchmaschine für den Mittelstandsexport entwickelt. Seine Arbeit wurde mit über hundert Preisen und Auszeichnungen bedacht, darunter Cannes Lions, ADC und D&AD. Neben seiner Kundenarbeit liegt Thomas' Schwerpunkt bei Accenture Song auf der Entwicklung neuer, technologiebasierter Kreativ-Karrieren. Thomas startete seine Karriere bei Jung von Matt in Hamburg, nachdem er in Münster Grafikdesign studiert hat. Er ist aktives Mitglied des Art Director's Club Deutschland, der International Academy of Digital Arts and Sciences und war Jurymitglied bei Awardshows wie ADC, Eurobest und dem Webby Award. Neben seiner Agenturarbeit hat Thomas drei Romane veröffentlicht und schreibt derzeit an seinem vierten.
Red Dot im Interview mit Thomas Knüwer
Accenture Song beschreibt sich als techgetriebene Kreativgruppe. Natürlich denkt man dabei derzeit sofort an KI. Ist sie tatsächlich der einzige Gamechanger oder sehen Sie noch andere technische Entwicklungen, die die Kreativbranche voranbringen?
Natürlich ist KI seit geraumer Zeit in aller Munde, wobei wir da oft nur über generative KI sprechen. Also, die Erstellung von Bild-, Ton-, Text- oder Videoinhalten. Darüber hinaus gibt es mindestens ebenso spannende Entwicklungen im Bereich der diagnostischen, prozessualen und agentischen KI. Die technologische Integration in Kreativprozesse ist jedoch nicht auf KI beschränkt – ganz im Gegenteil. Sie beginnt schon mit einer bewussten Datennutzung und -analyse, um kreative Intuition mit Wissen zu bereichern. Moderne Kollaborationsmodelle über Kultur- und Ländergrenzen hinweg wären ohne Tools und Plattformen nicht möglich. Dabei gilt immer: Technologie nicht um der Technologie willen einsetzen, sondern für echten Mehrwert.
Grenzen zu sprengen gelingt ja bei Aufträgen – ob aus Zeit- oder Budgetgründen – nicht immer. Wie viel Raum geben Sie bei Accenture Song intern Experimenten, um neue Möglichkeiten auszuloten, oder bleibt dafür schlichtweg gar keine Zeit?
Das Experimentieren ist wesentlicher Teil kreativer Arbeit. Heute wie früher. Dazu gehört, eine offene Fehlerkultur zu leben und, ja, auch Raum und Budget für Exploration zu bieten. Das gelingt nicht immer, denn gerade in unserer vielschichtigen digitalen Welt sind ökonomischer Druck und enge Timings eine Realität, der wir uns stellen müssen. Umso wichtiger ist es, Prioritäten zu setzen, also Projekte auch danach zu kategorisieren, wo präzise, effektive Lieferung der wichtigste Aspekt ist. Voraussetzung dafür ist ein offener Austausch mit Kunden und Partnern von Beginn an. Der größte Frust entsteht aus meiner Sicht oft durch nicht klar kommunizierte Erwartungen.
Es wächst eine zunehmend kritischere Generation heran. Wie müssen Unternehmen heute kommunizieren, um diese einzufangen?
Offenheit erzeugt Offenheit. Es ist großartig, eine mündige Generation zu sehen, die Teilhabe einfordert. Gesellschaftlich, politisch, ökonomisch. Kreativdienstleister und Marken müssen offenen Dialog zulassen. Den Austausch suchen statt Botschaften zu senden. Das verlangt Offenheit, Empathie und auch Imperfektion. Gerade auf Social Media, wo Authentizität und Nähe eine wichtige Rolle spielen, können Marken nicht einfach Botschaften in eine Community kippen, zu der sie nicht eingeladen wurden. Dann kann man sein Marketinggeld auch gleich verbrennen.
Sie selbst arbeiten gern disziplinübergreifend. Ist dies inzwischen unabdingbar? Und: Brauchen wir mehr Generalisten als Spezialisten?
Ich glaube, darauf gibt es kein absolutes Ja oder Nein. Ich beobachte eine enorme Diversifizierung der Kreativdienstleister. „Die“ Agentur gibt es nicht mehr. Größen, Strukturen, Arbeitsmodelle und Spezialisierungen variieren enorm. Kreativagenturen konkurrieren nicht länger mit Kreativagenturen, sondern mit Social-Agenturen, Designspezialisten, Produktionsfirmen, Freelancer-Netzwerken, Inhousing, unabhängigen Creators, Plattformen oder Beratungen. Auch die Frage, ob Generalisten oder Spezialisten in Zukunft mehr gebraucht werden, ist nicht klar zu beantworten. Die Rolle von Spezialisten wird sich aber ändern. Ich glaube, dass Geschmack ein kreativer Kernwert der Zukunft sein wird. Nicht in der Exekution, sondern in der Entscheidungsfindung. KI macht alles für alle möglich. Jede Marke kann kinoreife Spots produzieren, Budget egal. Aber sollte sie das? Darüber entscheiden Geschmack, Design- und Markenverstand.
Haben Sie den Eindruck, der Designnachwuchs wird hierzulande gut für die kommenden Herausforderungen ausgebildet?
Fairerweise glaube ich, dass die aktuellen technischen und kulturellen Entwicklungen so rasant sind, dass eine akademische Ausbildung kaum mithalten kann. Daher denke ich, wir müssen eher das Mindset als das Skillset junger Talente trainieren. Wer offen, neugierig, empathisch und proaktiv ist, diese Werte für sich priorisiert und auf alles anwendet, wird langfristig erfolgreicher sein, als wenn er sich etwa auf Prompt-Engineering spezialisiert. Wissen ändert sich, die Einstellung, neues Wissen wie ein Schwamm aufzusaugen, bleibt.
Inwiefern sind Designawards wie der Red Dot wichtig für die Kreativbranche?
Awards sind ein wichtiger Gradmesser von Kreativleistungen. Dafür ist es elementar wichtig, dass die jeweiligen Awards Autorität besitzen, unabhängig und inhaltlich, nicht ökonomisch getrieben sind. Awards basieren auf Vertrauen. Glaube ich, dass die Entscheidungsfindung zu einer Auszeichnung klar, transparent, professionell und kritisch erfolgte? Von Experten, die Qualität und Erfolg einer Arbeit vergleichen und einschätzen können? Beim Red Dot spüre ich das. Die Arbeit in der Jury war von großer Wertschätzung für Design geprägt. Das Zusammenbringen von so erfahrenen Kreativen aus der ganzen Welt ließ uns nicht nur leidenschaftlich diskutieren, sondern auch kulturelle Blind Spots klar adressieren.
Sie haben bereits drei Romane veröffentlicht – ist das eine andere Art von Kreativität, die Sie hier ausleben oder sehen Sie Parallelen zur Agenturarbeit?
Es gibt natürlich Parallelen, die ich bei beiden Tätigkeitsfeldern anwende. Prozesse zur Ideenfindung, die Wichtigkeit von Einfachheit und Klarheit bei emotionaler Ansprache und konsistentem Storytelling. Doch beim Schreiben kann ich meine eigene Kreativität ungefiltert herauslassen. Meine Romane sind düster und voller Spannung. Ich liebe es, in die menschliche Psyche einzutauchen, auch in meine eigenen Ängste hineinzuschreiben. Dadurch ist meine Kreativität beim Schreiben ungefilterter und roher. Und genau das reizt mich daran.