Red Dot Gala: Product Design 2025 Start Livestream: 8. Juli, 17:45 Uhr (MESZ)
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Jury

Weiwei He

Ursprünglich aus Chongqing, China, zog Weiwei He nach London, um dort ihren Master in Industrie- und Produktdesign am Central Saint Martins (UAL) zu machen, den sie 2004 abschloss. Sie begann ihre Karriere bei der Designberatung Tangerine, die für herausragende Innovationen im Mobilitätssektor steht. Heute ist sie Direktorin dieses weltweit renommierten Unternehmens.

Mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung hat sich Weiwei He als visionäre und vielseitige Design-Führungskraft etabliert, die transformative Lösungen in den Bereichen Konsumgüter, Automobil, Schienenverkehr und Flugzeugausstattung vorantreibt. Ihre Expertise in der Entwicklung branchenübergreifender Innovationen war entscheidend für die Neudefinition des Passagiererlebnisses im Mobilitätssektor. Weiwei He leitete dabei komplexe Projekte mit international anerkannten Partnern wie Amtrak, Cathay Pacific, CRRC, Deutsche Bahn, Talgo und Volkswagen.

Als anerkannte Vordenkerin sowie gefragte Rednerin auf internationalen Handels- und Designkonferenzen ist sie auch Jurorin verschiedener Wettbewerbe wie den Rail Interior Awards sowie den Design Week Awards. 

Weiwei He

Red Dot im Interview mit Weiwei He

Sie haben sich auf den Bereich Mobilitätsdesign spezialisiert. Welche Herausforderungen sehen Sie für die Branche in den kommenden Jahren?

Eine der größten Herausforderungen – insbesondere im Schienen- und Luftverkehr – ist meiner Meinung nach die zunehmende Begrenzung der Produktionskapazitäten. Die Nachfragespitzen nach COVID-19, kombiniert mit anhaltenden Lieferkettenstörungen, haben zu erheblichen Verzögerungen bei der Auslieferung von Fahrzeugen geführt. Das erschwert die Umsetzung hochgradig individualisierter Innenraumlösungen, ohne die Vorlaufzeiten weiter zu verlängern. Designer müssen daher pragmatischere, modularere und intelligentere Strategien entwickeln – solche, die ein außergewöhnliches Passagiererlebnis mit Herstellbarkeit und Effizienz in Einklang bringen. Eine weitere zentrale Herausforderung ist Verschärfung der gesetzlichen Anforderungen. In den 2000er Jahren dauerte es etwa 18 Monate, ein neues Sitzdesign vom Konzept bis zur Zertifizierung zu bringen. Heute ist dieser Zeitraum mindestens doppelt so lang. Dieser verlängerte Zertifizierungszyklus birgt erhebliche Risiken für Innovationen und verlangsamt die Markteinführung neuer Ideen und Erfahrungen. Die große Herausforderung für Designer besteht darin, dieses regulatorische Umfeld zu navigieren – und dabei die kreative Dynamik aufrechtzuerhalten.

Wird sich der Individualverkehr grundlegend verändern? Und inwieweit wird dies auch das Design des öffentlichen Nahverkehrs beeinflussen?

E-Autos und elektrische Luftfahrzeuge sowie das autonome Fahren werden die Verkehrslandschaft grundlegend verändern. Insbesondere autonome Fahrzeuge werden hocheffiziente Direktverbindungen bieten und damit eine starke Alternative zum traditionellen öffentlichen Nahverkehr darstellen. Gleichzeitig dürfte sich das Verständnis von Individualverkehr verändern: Das traditionelle Modell des Autobesitzes wird infrage gestellt, und die Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln verschwimmen. Ich gehe davon aus, dass langfristig eine komplementäre Beziehung entstehen wird, indem öffentlicher Verkehr und individuelle Mobilitätslösungen zusammen den Passagieren eine nahtlose und vernetzte Reise ermöglichen. Design wird eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung dieser Integration spielen und Komfort, Kontinuität sowie Bequemlichkeit über verschiedene Verkehrsträger hinweg gewährleisten.

Welche Faktoren sind Ihrer Meinung nach generell entscheidend für ein überzeugendes Mobilitätsangebot im Luft- und Schienenverkehr?

Ich denke, der wichtigste Faktor ist die Bereitstellung eines nahtlosen, nutzerorientierten und stressfreien End-to-End-Erlebnisses für die Passagiere. Reisende erwarten heute mehr als nur die Beförderung von A nach B – sie wollen reibungslos, komfortabel und vernetzt reisen, vom Verlassen ihres Zuhauses bis zur Ankunft am Zielort.

Dies erfordert die Integration von Luft- und Schienenverkehrsdiensten in ein umfassenderes Mobilitätsökosystem, das auch die „erste und letzte Meile“ berücksichtigt – also den Zugang zu Bahnhöfen und Flughäfen sowie die Abfahrt von dort. Klare Informationen, unkomplizierte Umstiege, intuitive Wegeführung und ein integriertes Ticketingsystem für alle Verkehrsträger sind dabei unerlässlich.

Auch das Erlebnis an Bord spielt eine wichtige Rolle. Eine durchdachte Kabinenausstattung, die Ästhetik und Funktionalität in Einklang bringt, kann das Reiseerlebnis erheblich verbessern.

Haben sich also die Anforderungen von Passagieren und Reisenden grundlegend verändert?

Ja. Reisende erwarten heute mehr als nur Effizienz – sie wünschen sich eine nahtlose, inklusive und nachhaltige Reise. Barrierefreiheit ist mittlerweile ein Muss, und die Nachfrage nach Designs, die allen Nutzern komfortables und würdevolles Reisen ermöglichen, steigt. Auch Nachhaltigkeit rückt immer mehr in den Vordergrund, da die Menschen aktiv nach emissionsärmeren Optionen und umweltbewussteren Reisemöglichkeiten suchen.

Digitaler Komfort, persönlicher Freiraum und Wohlbefinden sind kein Luxus mehr, sondern Standard. Um relevant zu bleiben, müssen die Angebote der Verkehrsunternehmen nicht nur effizient sein, sondern auch menschenzentriert und zukunftsfähig.

Sie sprachen den Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit an: Hat dieser dem Mobilitätssektor insgesamt neuen Auftrieb gegeben?

Sicherlich. Nachhaltigkeit stellt heute eine der Haupterwartungen dar – bei Passagieren, Regulierungsbehörden und in der Lieferkette. Die gemeinsamen Anstrengungen verstärken einander und sorgen bereits für eine Entwicklung hin zu umweltfreundlichen, intelligenten und zukunftsfähigen Lösungen in der gesamten Branche.

Hat sie in letzter Zeit eine Lösung im Mobilitätssektor überrascht?

Eine der überraschendsten und inspirierendsten Entwicklungen ist das „Skynest“-Konzept von Air New Zealand, das Liegesitze für die Economy Class einführt. Das ist ein mutiger Schritt, der die seit Langem etablierten Normen in Bezug auf Klassenstrukturen und Komfort in der kommerziellen Luftfahrt hinterfragt. Besonders beeindruckend ist, wie dieses Konzept die Grenzen des Passagiererlebnisses erweitert und gleichzeitig die strengen Auflagen der Flugzeugzertifizierung, Sicherheit und Betriebseffizienz erfüllt.

Wie beurteilen Sie die Designqualität der Beiträge für den Red Dot Award in der Kategorie Mobilitätsdesign?

Die Designqualität der Einreichungen in diesem Segment ist durchweg hervorragend. Aufgrund der physischen Größe der Produkte in dieser Kategorie ist die Anzahl der tatsächlich zur Jurysitzung eingereichten Artikel naturgemäß recht begrenzt. Ich würde den Teilnehmern dennoch dringend empfehlen, nach Möglichkeit physische Muster einzureichen – selbst ein Ausschnitt des Produktes kann der Jury dabei helfen, die feinen Details und die Gesamtqualität des Designs besser zu beurteilen. Das direkte Erleben von Material, Form und Verarbeitung macht einen großen Unterschied im Bewertungsprozess.

Last, but not least: Wie bewegen Sie sich am liebsten fort?

Ich reise am liebsten mit der Bahn. Sie gehört zu den nachhaltigsten Verkehrsmitteln und bietet eine geräumige, komfortable Umgebung. Die großen Fenster verbessern das Erlebnis zusätzlich – sie machen die Reise sowohl angenehmer als auch landschaftlich reizvoller. Die direkte Verbindung von Stadtzentrum zu Stadtzentrum ist äußerst praktisch, und auch die Bewegungsfreiheit an Bord macht Bahnreisen attraktiv.