
Harmonisches Handwerk: Japanisches Design, Minimalismus und die Kunst des Herstellens
Uhren sind weit mehr als präzise Instrumente: Sie sind kulturelle Artefakte, technologischer Motor und Ausdruck ästhetischer Haltung. Seit Jahrzehnten prämiert der Red Dot Award außergewöhnliche Zeitmesser – von handaufgezogenen Armbanduhren über klassische Chronographen bis hin zu visionären Konzepten futuristischer Uhrwerke. Die Entwicklung von Zeitmessern zeigt, wie Design den kulturellen und technologischen Wandel begleitet und prägt.
„Man versetzt sich in unterschiedliche Stimmungen mit der Uhr. Sie kann die innere Einstellung verändern, wie man zu seinem Tag steht. Man bringt durch sie auf einer symbolischen Ebene etwas von sich selbst zum Ausdruck. Uhren haben etwas Magisches. Auch dadurch, dass sie eigentlich unvergänglich sind.“ – Professor Dr. Peter Zec, Initiator und CEO von Red Dot.
Lange vor komplexen Apparaturen richteten Menschen ihren Alltag nach Helligkeit und Dunkelheit aus. Sonnenuhren, Wasseruhren, Kerzenuhren und Sanduhren legten den Grundstein für die Idee, dass Zeit sichtbar, gestaltbar und messbar ist.
Im 13. Jahrhundert führten mechanische Räderuhren zu einem radikalen Wandel: Gewichtsgetriebene Uhrwerke markierten Stunden unabhängig vom Tageslicht und organisierten Städte und Klöster. Rund 500 Jahre später entstanden Taschenuhren als tragbare Handwerkskunst, ab dem frühen 20. Jahrhundert verschmolz die Armbanduhr Funktion, Gestaltung und persönlichen Ausdruck zu einem ikonischen Objekt.
Elektrische Uhren, Quarzwerke und Atomuhren ermöglichten maximale Genauigkeit und machten die Uhr zum unsichtbaren Taktgeber moderner Gesellschaften.
1969 stellte Seiko mit der Quartz Astron 35SQ die erste kommerzielle Quarz-Armbanduhr vor. Entwickelt wurde sie im Werk Suwa Seikosha, gelegen in der Nagano-Präfektur (Japan), aus dem später die Seiko Epson Corporation hervorging. Sie erreichte eine Präzision von ±5 Sekunden pro Monat. Quarztechnologie demokratisierte Präzision, veränderte Design und Fertigung und prägt die Uhrenwelt bis heute.
Der Schweizer Designer Gérald Genta revolutionierte ab den 1970er-Jahren die Formensprache der Branche. Mit Modellen wie der Audemars Piguet Royal Oak (1972) und der Patek Philippe Nautilus (1976) verband er Luxus, Sportlichkeit und industrielle Ästhetik zu einer neuen Kategorie. Edelstahl wurde zum Luxusmaterial, mutige Gehäuseformen zum Statement. Gentas Werke definieren bis heute, wie moderne Uhren als tragbare, charakterstarke Designobjekte aussehen.
Heute verbinden Gestalter Klassik und Moderne auf faszinierende Weise. Die beim Red Dot Design Award ausgezeichneten Zeitmesser zeigen, dass die Gestaltung von Uhren über die reine Funktion weit hinausgeht. Ob minimalistische Mechanik, digitale Intelligenz, oder nachhaltige Materialien – sie alle verkörpern denselben Geist: Präzision, Handwerkskunst und die Sehnsucht, dem Augenblick Form zu geben.
„Design bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition - in allen Bereichen. Je nachdem, ob eine Marke mehr im traditionellen oder im innovativen Bereich angesiedelt ist, erwartet man auch andere Dinge vom Design,“ so Professor Dr. Peter Zec. „Auch im Heritage-Bereich kann man ja innovativ sein. Man kann originelle Neuinterpretationen alter Standards finden. So etwas sticht sofort ins Auge.“
Die Portuguese Yacht Club Chronograph von IWC Schaffhausen wurde 2010 mit einem Red Dot ausgezeichnet und übersetzt die ikonische Portugieser-Linie in eine sportlich-maritime Form. Die 1868 gegründete Schweizer Manufaktur ist für ihre ingenieurgetriebene, klare Gestaltung bekannt und genau diese Haltung prägt das Modell: ein ausgewogenes Zifferblatt, großzügige Typografie, harmonisch gesetzte Totalisatoren und ein Gehäuse, das Robustheit und Eleganz vereint. Trotz dynamischer Akzente bleibt die Uhr unverkennbar eine Portugieser und zeigt, wie IWC Tradition und technische Präzision in einer zeitgemäßen Interpretation verbindet.
Die Horological Machine No. 6 „Space Pirate„ von MB&F verbindet Science-Fiction-Ästhetik mit Uhrmacherkunst. Ein organisch skulpturiertes Titangehäuse, vier kuppelförmige Anzeigen und ein zentrales fliegendes Tourbillon erzeugen eine Uhr, die eher wie ein kleines Raumschiff wirkt als wie ein traditioneller Zeitmesser. Trotz ihrer Komplexität ist sie leicht und angenehm zu tragen. Die Red Dot Jury hob die kreative Auflösung klassischer Anzeigenformen und die visionäre, erzählerische Gestaltungsqualität hervor und zeichnete die Uhr 2015 mit einem Red Dot: Best of the Best aus.
Mit der Neuinterpretation der ikonischen Ceramica gelingt Rado eine bemerkenswerte Weiterentwicklung eines modernen Designklassikers. Die für die Marke charakteristische Verbindung aus minimalistischer Geometrie und innovativer Hightech-Keramik bleibt erhalten, wird jedoch zeitgemäß verfeinert. Die Jury zeichnete die Rado Ceramica mit einem Red Dot 2017 aus: „Mit ihrer schlichten, ausdrucksstarken Formensprache wird die Rado Ceramica dem Erbe eines Uhren-Klassikers sowie den zeitgemäßen Ansprüchen an eine Armbanduhr gerecht,“ so die Jury.
Mit der Monaco Calibre 11 legt TAG Heuer einen der prägendsten Chronographen der Uhrengeschichte neu auf und bleibt dabei der visuellen Identität des 1969er-Originals treu. Die Neuinterpretation setzt jedoch bewusst andere Akzente: Die ikonische quadratische Gehäuseform aus Edelstahl wird betont und erhält durch massiv ausgeführte Anstöße und kantige Drücker eine stärkere architektonische Präsenz. Die transparente Rückseite eröffnet zudem den Blick auf das überarbeitete Werk, ein Detail, das Technik und Design miteinander verbindet. Die Red Dot Jury würdigte die die Uhr 2017 mit einem Red Dot: „Die markante Gestaltung des Chronographen Monaco Calibre 11 vereint gekonnt Bewährtes mit Neuem und stellt so eine zeitgemäße Interpretation eines Uhrenklassikers dar.“
Die Big Bang Meca-10 Magic Gold verkörpert Hublots Ansatz, Mechanik als zentrales Gestaltungselement sichtbar zu machen. Ihr eigens entwickeltes Uhrwerk liegt vollständig offen, ein Zifferblatt gibt es nicht. Stattdessen offenbart die Konstruktion aus 79 Teilen ein technisches Schauspiel, das den Charakter der Uhr bestimmt und an die Ästhetik klassischer Meccano-Baukästen erinnert. Die Uhr wurde 2017 mit einem Red Dot: Best of the Best prämiert: „Die Big Bang Meca-10 Magic Gold zeigt, wie viel Freude eine mechanische Armbanduhr bereiten kann. Mit ihr wird ein archetypisches Produkt auf bestechende Weise weiterentwickelt,“ begründete die Red Dot Jury.

Ende der 1970er Jahre entwickelte Porsche Design den Military Chronograph, einen Edelstahlzeitmesser, der mit seiner blendfreien Ablesbarkeit und Zuverlässigkeit Maßstäbe setzte. Über 40 Jahre später wird die Legende mit dem Chronograph 1 Utility – Limited Edition neu interpretiert.
„Das in jeder Hinsicht stimmige Design, angefangen bei den differenziert gestalteten Zeigern bis hin zu dem kratzfesten, in seiner Schönheit beständigen Gehäusematerial“, überzeugte die Red Dot Jury, die einen Red Dot: Best of the Best 2024 verlieh. „Eine großartige, gelungene Uhr mit viel Tradition, die in die Zukunft reicht“, lautete ihr Fazit.

Die Ressence TYPE 3 BB2, die 2024 mit einem Red Dot: Best of the Best ausgezeichnet wurde, überrascht mit einem Zifferblatt, das sich aus jedem Blickwinkel perfekt ablesen lässt. Durch eine mit Öl gefüllte Schicht zwischen Glas und Zifferblatt verschwimmt die Tiefenwahrnehmung und die Anzeigen scheinen direkt auf dem Glas zu liegen. Das Ergebnis: ein Gefühl von bestechender Klarheit und Unmittelbarkeit. „Die handschmeichelnden Qualitäten des Produktes sind absolut bemerkenswert. Eine einzigartige, gut ablesbare Zeitanzeige aus jedem Winkel“, so das Jury-Fazit.

Mit der SLGW003 präsentiert Grand Seiko erstmals seit 50 Jahren ein neues Handaufzugswerk und knüpft an die designhistorische 44GS von 1967 an. Schlanke Proportionen, klare Flächen und meisterhafte Politur definieren eine Uhr, die traditionelle japanische Handwerkskunst in eine moderne Formensprache überführt. Die Jury betonte die außergewöhnliche Balance der Komponenten und die vollendete gestalterische Kohärenz als Höhepunkt des Grand-Seiko-Stils und zeichnete die Uhr 2025 mit einem Red Dot: Best of the Best aus: „Die in Jahrzehnten von der Marke erarbeitete eigene Sprache findet in dieser Uhr ihren höchsten Ausdruck“, so die Jury.
Der Weg von der ersten Sonnenuhr bis zu den visionären Zeitmessern der Gegenwart zeigt, wie eng Technik, Kultur und Gestaltung miteinander verwoben sind. Jede Epoche hinterließ ihre eigenen Spuren im Uhrendesign, von der funktionalen Mechanik mittelalterlicher Räderwerke über die Eleganz der Taschenuhren, die technischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts bis hin zu den experimentellen Formen heutiger Uhrmacherkunst.
Die im Red Dot Award ausgezeichneten Uhren machen deutlich, dass Innovation nicht im Widerspruch zur Tradition steht, sondern aus ihr hervorgeht. Sie übersetzen historisches Wissen in zeitgemäße Formen, schaffen neue Rituale und definieren immer wieder neu, was es bedeutet, Zeit sichtbar zu machen. So bleibt das Uhrendesign ein Feld, in dem Vergangenheit und Zukunft nicht gegensätzlich sind, sondern sich zu einer fortwährenden Geschichte verbinden, einer Geschichte, die sich mit jedem Ticken weiterschreibt.